Montag, 2. Oktober 2017

Ich flippe anders - Meine Varianten des Flipped Classroom

Flipped Classroom ist zurzeit eine viel diskutierte Methode. Kollegen wie Sebastian Schmidt, Daniel Jung oder Christian Spannagel leben in unzähligen Stunden Matheerklärungen ihr Inverted-Classroom-Konzept, das ich einmal auf folgende Formel sehr arg reduziere: Die Lernenden schauen zu Hause vom Lerncoach audio-visuell präsentierte Inhalte über einen Streamingdienst wie youtube. In der Schule bleibt dann Zeit für Übungen, Fragen und fachliche Vertiefungen - so ihr eigener Anspruch. Ich allerdings flippe da ein wenig anders. Darauf aufmerksam geworden, interviewte mich Eleonora Pauli für ihren Beitrag auf Forum Bildung Digitalisierung. Für mich selbst Anlass genug, mein Handeln einmal strukturiert zu reflektieren. 

Basis - geflippte Grundgedanken

Grundsätzlich stehe ich dem Flipped Classroom-Ansatz sehr offen gegenüber und habe ihn auch bereits in meinem Unterricht eingesetzt. Das waren zumeist Anlässe, die die diskutierten Stärken wie individuelles Tempo, den ständigen Zugriff (örtlich und zeitlich) und die beliebige Wiederholung ausnutzten. Allerdings hat das reine Flipped Classroom-Konzept auch einige Schwächen. So werden z. B. „alte“ Lehrstrukturen über die Digitalisierung weiter manifestiert. Der traditionelle Lehrervortrag wird als Video ausgelagert. Als Lerncoach fehlt mir das selbst erfahrene, entdeckende Entwickeln von Kompetenzen, wie es eine konstruktivistisch angelehnte Didaktik fordert. Mehr zur Kritik findet man z. B. hier.

Um es ganz klar herauszustellen: Flipped Classroom darf nicht als Antwort auf verändertes Lernen im digitalen Umfeld interpretiert werden. Es tangiert weder die durch die KMK definierten medienaffinen Kompetenzbereiche noch lässt sich ein Bezug zu dem 4-K-Modell herstellen. (Das ist genauso falsch wie die bildungspolitische Reaktion, tausendfach interaktive Whiteboards in die Klassen zu hängen.)

Aber die „Zeitersparnis“ und die damit einhergehenden Chance, bei eingeschränkten zeitlichen Ressourcen, wertigere Phasen im Klassenraum auszudehnen, brachten mich als Berufsschullehrer mit wenigen gemeinsamen Stunden in den Klassen des dualen Systems zum Nachdenken. Aus diesen Überlegungen entwickelte ich für meinen Unterricht ganz pragmatisch folgende drei ausgeflippten Varianten:

A. Der Klassiker - geflippte Inhalte

Für bestimmte unterrichtliche Situationen (z. B. fachliche Wiederholungen), relativ einfache Thematiken (wie Softwarenutzung) oder Klassenorganisatorisches (z. B. Entschuldigungsverfahren) stelle ich die Inhalte als klassisches Flipped Classroom zur Verfügung. Wenn ich es für sinnvoll erachte, ergänze ich die kleinen Filme oder Präsentationen mit interaktiven Elementen (z. B. über die Tools h5p oder EDpuzzle).




B. Der Beliebte - geflippte Lösungen

Ein Schwerpunkt unseres betriebswirtschaftlichen Curriculums sind Techniken der Buchführung und der Kostenrechnung. Ähnlich wie in mathematischen Verfahren vertiefen und erweitern die Schülerinnen und Schüler über unzählige Übungen ihre Kenntnisse. Die für den Lernprozess durchaus wichtige „Besprechung“ nimmt sehr viel meiner Unterrichtszeit in Anspruch. Bei komplexen Aufgaben kann das durchaus eine ganze Schulstunde beansprchen. Vielfach beobachte ich das Phänomen, dass die ausreichend vorbereiteten Lerner bis zum Schluss ihre guten Ergebnisse einbringen und der Stunde auch (gelangweilt) folgen können, während einige Lerner angesichts des Tempos schnell überfordert wirken und sich aus dem Unterrichtsgeschehen ausklinken. Für beide Seiten und für mich eine unbefriedigende Situation. Das Flippen solcher Phasen verlagert die Aufgabenreflexion in das ruhige häusliche Umfeld. Die Beschäftigung mit der Aufgabenlösung kann so den individuellen Ansprüchen selbstverantwortlich angepasst werden. Fragen werden – abhängig von der Komplexität – auf der gewählten Plattform (LMS oder Messenger) online oder in der nächsten Stunde offline diskutiert.

Die Aufgaben und Übungen löse ich Schritt für Schritt kommentiert selbst und filme währenddessen. Ein Stativ hält das Tablet in einem gesunden Abstand zum Schreibtisch, auf dem ich Platz genug habe, verschiedene Arbeitsblätter zu platzieren. Das kleine Mikrophon verbessert die Ton- und die Schreibtischlampe die Lichtverhältnisse. Mit den pinken Klebestreifen markiere ich meinen Tanzbereich.

Die kleinen Filme stelle ich in die Klassengruppe beim Messenger Telegram oder auf der Lehrplattform Moodle ein. Gerne würde ich Buchaufgaben auch für andere Klassen in Deutschland per Youtube veröffentlichen – aber ich gehe davon aus, dass sich dies mit dem Urheberrecht nicht vereinbaren lässt (Stichwort: Schöpfungshöhe einer Lernaufgabe).

Mein Flipped-Lösungen-Set.


3. Der Sinnigste - geflippte Kommentare

Handlungs(produkt)orientierter Unterricht z. B. über einen (gerne auch analogen) Copy-Paste-Remix-Share-Ansatz mündet in aufwändige Schülerergebnisse. In denen steckt bisweilen viel Zeit, Kreativität, Know-how und im besten Falle ein wenig Liebe. Einfache Bewertungsverfahren über Noten, Kreuze oder die bei mir beliebten +/o/- werden dem Schülerinnen- und Schüleraufwand dann natürlich nicht gerecht. Denn das Lernen geschieht über Reflexion. Dies kann eine Note inhaltlich nicht liefern. Komplexe Aufgaben wie MindMaps, Grafiken oder kleine Filme und kreative Aufgaben wie Stellenanzeigen, Werbeplakate oder Fotostorys (per Insta oder SnapChat) erfordern ein umfangreicheres verbalisiertes Feedback. Das ist wichtig, um für die Zukunft Fehler und Schwierigkeiten zu vermeiden. Aber lange Texte zu notieren ist zeitaufwändig und Markierungen bei digitalen Handlungsprodukten manchmal gar nicht möglich. Mit kleinen Videos kann ich ein für mich wertigeres Feedback geben.

Einige Vorteile:
  • Bei grafischen Produkten kann ich dezidiert auf gelungene oder verbesserungswürdige Elemente zeigen (im Sinne des Wortes)
  • Die verbale Sprache ist eindeutig, einfach sowie schnell und kann über die gewählte Rhetorik einen Mehrwert zur Schriftsprache bieten.
  • Bestimmte Fehler kann ich „vor den Augen“ der Lernenden verbessern. So fallen die Kommentare nicht vom Himmel sondern sind für den Einzelnen nachzuvollziehen.

Das Video erlaubt es mir z. B. auf Dinge zu zeigen, Zusammenhänge offenzulegen, Teile zu verbessern, Fehler genau zu benennen, sprachlich einfach und verständlich zu kommentieren. Auch hier bespreche ich die Schülerinnen- und Schülerergebnisse und filme direkt dabei. Die kleinen Sequenzen schicke ich dann wiederum per Telegram oder Mail an die Lerner.

Der technische Aufbau sieht ähnlich aus. Die "analogen Produkten" lege ich auf einen Notenständer und filme nicht von oben sondern von vorn. Auch hier halte ich alles recht simpel.

Mein Flipped-Feedback-Set



1 Kommentar:

  1. Wow, sehr gut gemacht und flipped classroom wie ich ih. Mir wünschen würde, allerdings auch ein irrrer Aufwand, ich bin beeindruckt.

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